Immer wieder kommt es vor, dass jemand meint: Der Duft ist so schön, den mögen doch alle. Zum Beispiel den Duft der Agrumenölen … Diese Rechnung geht jedoch nicht immer auf.
Irritation beim Duft der Rosengeranie (ätherisches Öl)
Vor Jahren war eine Seminarteilnehmerin ganz verzweifelt, weil ihr heißgeliebtes ätherische Öl der Rosengeranie bei einer Präsentation von den Anderen vehement abgelehnt wurde. Sie nahm diese Ablehnung sehr persönlich und fühlte sich infrage gestellt. Sie hatte doch recht, die Rosengeranie ist doch super.
Leider hat dieses biochemische Wunderwerk der Rosengeranie einen „Fehler“.
Es duftet! Damit scheiden sich die Geister.
Wer hatte denn nun recht, sie oder die Anderen. Wer hatte die richtige Meinung, wer die Falsche?
Die Erklärung, dass die Duftmoleküle Gefühle berühren, dass sie Informationen transportieren und vom Limbischen System und dem Hippocampus quasi „überprüft“ werden, mit unterschiedlichen Ergebnissen, ermöglichte ihr einen neuen Blickwinkel auf dieses „richtig oder falsch“.
Gibt es die „richtige“ Duft-Wahrheit?
Ist das, was wir wahrnehmen eine „objektive Wahrheit“, im Sinne, so ist es richtig?
Ich nehme etwas wahr.
Ohne Vorurteil, ohne Beurteilung, ohne Vorinformationen? Ist das so?
Wahrnehmung ist mit einem Filter behaftet. Mit einem Filter, der meiner Betrachtung der Welt, meinen Erfahrungen, meinen Erkenntnissen entspringt.
Kann Wahrnehmung, Wahrnehmen überhaupt ein objektiver Prozess sein? Oder übernimmt hier das Subjektive, das Individuelle, das Empfinden die Führung?
Ich sehe einen Baum. Die „objektive Wahrheit“: Es ist ein Baum, ein Objekt.
Entwickelt sich bei der Wahrnehmung und Betrachtung des Baumes ein Gefühl in mir, verändert sich die „Wahrheit“ über das Objekt Baum, er wird evtl. bedrohlich oder er erweckt Freude, weil die ersten grünen Blättchen zu sehen sind. Er löst traurige Gedanken aus, weil ich seinen Zustand wahrnehme – er ist vertrocknet, abgestorben …
Das Objekt Baum vermischt sich mit meinen Empfindungen, mit dem betrachtenden subjektiven und schon verändert es sich zu „meiner Welt“.
Die Bilder des „Duftempfindens“ der Zitrusdüfte
Ich möchte anhand einer durchgeführten Übung aufzeigen, wie sich die Unterschiedlichkeit der Wahrnehmung der (Duft)Welt wunderbar widerspiegeln kann.
Die Aufgabe bestand darin, mit dem Arbeitsblatt „Duftempfinden“ drei ÄÖ zu „beurteilen“.
Es handelte sich dabei um die Zitrusdüfte: BERGAMOTTE (Markierung blau/schwarz), BLUTORANGE (Markierung grün) und GRAPEFRUIT (Markierung rot).
Allen Teilnehmerinnen standen die ÄÖ aus derselben Quelle (ÄÖ Flasche/Hersteller/Charge) zur Verfügung. Die ÄÖ (Objekt) sind definierbar und messbar.
Sobald jedoch die Nase des Riechenden hinzukommt, ändert sich das Bild der Wahrnehmung. Es wird individuell und sehr subjektiv. Beim Riechen entsteht ein innerer Dialog, es wird geprüft, befunden, beurteilt, verurteilt und mit dem Geruchsgedächtnis und dem Inhaltsverzeichnis unserer emotionalen Bibliothek abgeglichen.
Die entstandenen Bilder, spiegeln sehr anschaulich, die jeweilige Empfindung des Menschen wider. Diese Wahrnehmung der Zitrusdüfte ist die ganz eigene Wahrheit der riechenden Person und damit nicht infrage zustellen. Es gibt beim Empfinden eines Duftes kein „Richtig“ oder „Falsch“.
Die Spider-Diagramme
Bei dieser Übung habe ich die dafür entwickelten Spider-Diagramme verwendet. Sie erfassen sehr bildhaft die Empfindung der Polarität von Möglichkeiten, im Duftempfinden. Es ist deutlich zu erkennen, dass bei allen Zitrusdüften eine gewisse Häufung auf der rechten Seite zwischen „angenehm“ und „gelassen“, also der eher positiven Aspekte zu finden ist. Und dennoch zeigen einige Diagramme gravierende „Ausreißer“ in den Bereich der weniger als positiv empfundenen Attribute auf.
Selbst in den jeweiligen Diagrammen variieren die Empfindungen dieser Zitrusdüfte bemerkenswert zueinander. Der Spannungsbogen geht dabei von „Angenehm“ (BERGAMOTTE, GRAPEFRUIT) bis hin zu „Unangenehm“ (BLUTORANGE) und von „gelassen“ (BERGAMOTTE, GRAPEFRUIT) hinzu „Aggressiv“ (BLUTORANGE) (s. 1. Reihe, Mitte).
In einem anderen Diagramm hingegen werden BERGAMOTTE und GRAPEFRUIT, als „fordernd“, „aufregend“ und „aggressiv“ wahrgenommen (s. 1. Reihe, linkes Bild)
Da jeder Zitrusduft eine ganz eigene Duftinformation anbietet, kann emotional-olfaktorischer Stress auslöst werden, wenn sich dabei ein „informatives Gespräch“ mit einem Schattenbereich entwickelt.
Im Grunde ist es ein Geschenk, wenn uns jemand Einblick in seine Sicht der (Duft)Welt gewährt. Wir dürfen über diese Vielfalt an Wahrnehmungen und Empfindungen staunen.
Mit diesem Hintergrund erschließen sich so manche Reaktionen und Äußerungen, die von unserer eigenen Sicht und Meinung schlicht „abweichen“.
Diese individuelle Wahrnehmung der Dinge und die daraus resultierenden Reaktionen lassen sich nicht nur bei Duftwahrnehmungen finden, sondern durchziehen das ganz Alltägliche …
Deshalb zeige und erkläre mir deine Welt … damit ich dich sehen kann.
Was ich unbedingt noch sagen möchte: Ein großes Danke an die Erschafferinnen dieser „Spinnennetze“.