Im Höhler der Sinne ….in der Dunkelheit der Nacht

„Bitte, fassen sie das Führungsseil und dann tasten sie sich durch den dunklen
Wald, Und wer sich nicht verläuft, kommt zum Kräuter- und
Genußgarten…“ So die Einladung am „Tag des weißen Stockes“ an die Besucher.

Gedanken
Heute zur Wintersonnenwende umfängt uns die längste Nacht. Nur ca. 1/3 des Tages bleibt dem Licht, vom Sonnenaufgang bis zum Sonnenuntergang. Gleichzeitig ist es der Wendepunkt, das Licht kehrt zurück, wir locken es mit Feuer, Kerzen und mit freudiger Hoffnung. Nun geht es langsam aber stetig  wieder aufwärts. Ein guter Grund zum Feiern!

Was aber ist der Sinn dieses Ganzen für Menschen, die in der Dunkelheit der Nacht leben, 24 Stunden tagein, tagaus? Hat die Wintersonnenwende und die Rückkehr des Lichtes für sie eine Bedeutung oder tragen sie unabhängig davon ein eigenes inneres „Licht“: ein hörendes, fühlend-spürendes, erriechendes, tastend-begreifendes?

Wenn ich einen Menschen sah, der nach meinem „Wissen“ blind, behindert und hilflos war, noch dazu wenn es sich  um junge Menschen handelte, beschlich mich Unsicherheit, Hilflosigkeit, Mitleid, großes Bedauern und das Gefühl etwas tun zu müssen. Gleichzeitig aber auch Bewunderung, er/sie traut sich mit diesem weißen Stock auf und sogar über die Straße… Unglaublich…!


Erste Begegnungen…
Das war der Stand meiner Erfahrung, bis zu dem Tag als ich eine Anfrage bekam: ‚Ob ich, da ich ja so was mit Düften mache, zum „Tag des Weißen Stockes“ eine Duftstrecke „bringen“ könne?‘  Der Blinden- und Sehbehindertenverband Gera wollt an diesem Tag Sehende mit dem Dunkel in ihrer Welt bekannt und vertraut machen. Alle Sinne sollten dabei angesprochen werden, außer einem, der Sehsinn.
Ich fand es sehr spannend und sagte leichtsinnig „ja“! …was ich nicht wusste, es sollte in einem Geraer Höhler (hier) stattfinden.
 Das Projekt nannte sich „Höhler der Sinne“ . Mein Part war die Nase mit Düften zu „berühren“.

Das erste Treffen vor Ort war für mich so erlebnis- und erkenntnisreich, wie selten zu vor:
1. Eine schmale Wendeltreppe ist für Blinde kein Hindernis, sie haben einen Freund, ihren weißen Stock
    (und sie fallen auch nicht hinunter oder in den Rücken…)
2. Eine lange, steile ca. 400 jährige „naturbelassene“ Treppe mit, zum damaligen Zeitpunkt,
    unterbrochenen Handlauf wird ohne Verluste zielstrebig bewältigt …und auf „halber Treppe umkehren“
    passiert nur Sehenden, weil sie zu viel sehen…
3. Ein Höhler ist ein großer feuchter „Keller“ ohne Luftbewegung. Alles was sich länger an diesem Ort
    befindet wird schimmeln!

Die Duftstunde
Im Vorfeld fand eine Duftstunde statt, denn ich wollte wissen, wie
nehmen Blinde und Sehbehinderte Gerüche war. Es gibt Unterschiede in der
Wahrnehmung: wer vor dem Verlust seines Sehsinnes schon einmal diesen
Duft gerochen hatte und vielleicht dazu auch die Pflanze kannte,
erkannte es wieder, man hatte ein „Referenzobjekt“. Wer von Geburt oder
Kindheit an blind ist, versuchte im Erleben mit kulinarischen Eindrücken
den Duft zu benennen bzw. zu platzieren. So löste der Duft der Thymianpflanze plötzlich Begeisterung aus. Man lachte, redete fröhlich durcheinander und meinte: dass ist ja Pizzaessen in geselliger Runde…
Bei einem
Fichtennadelduft kam es zu einem sehr berührenden Moment: ein junger
Mann erinnerte sich an den Harzgeruch in der Tischlerwerkstatt (vor
seiner Erblindung), in ihm müssen für einen Moment alle Bilder wieder
lebendig geworden sein. Um diese Situation leichter zu bewältigen, gab ich ihn den
Duft von Grapefruit und er entspannte sich sofort. 

Einblicke
Ich wollte mehr wissen und stieß bei meiner Suche auf Hellen Keller’s „Meine Welt“, in der die taubblinde amerikanische Schriftstellerin 1908 ihre Erfahrungen und Wahrnehmungen beschrieb. Zwei Aussagen beeindruckten mich besonders: „Draußen erkenne ich durch Geruch- und Tastsinn den Grund, worauf wir gehen, und die Stellen, woran wir vorbeikommen, … sind die Gerüche so gruppiert, dass ich den Charakter einer Landschaft wahrnehme…“

Das Konzept und die Umsetzung
Auf mich kam das große Fragezeichen eines „kleinen“ Problems zu. Wie bekomme ich da eine Duftstrecke hin?

  • keine ausreichende Luftbewegung, um Duftmoleküle zu transportieren, also braucht es „Technik“ 
  • sehr hohe Luftfeuchtigkeit (ca.80%), das hält kein technisches Gerät lange aus
  • nur nackte bröcklige „Kellerwände“, wo etwas festmachen und wie?
  • wie,wo und was muß sicherheitsrelevant betrachtet und realisiert werden unter dem Umstand der vollkommenen Dunkelheit und unerfahrener Besucher…
  • welches Material kann zum Einsatz kommen für welchen Zeitraum

Da war viel Kreativität gefragt.
Ich entschloss mich eine Duft- und Taststrecke zu gestalten: den „Höhler-Wald“ und den „Kräuter-Genuß-Garten“.
Das Konzept wurde entwickelt und in Teamwork mit der Fa. Yves Lamontain hervorragend umgesetzt. Ohne diese tatkräftige und inspirierende Unterstützung wäre es nichts geworden. Das war mir so klar nach unserem schweißtreibenden Aufbautag. Die Zuweisung einer neuen Nische machte spontanes Umdenken vor Ort erforderlich, jegliche Planung war obsolet.

Im „Wald“ wurden Naturmaterialien zum Befühlen eingesetzt (jeder mögliche Splitter usw. entfernt). Diese Materialien und eine sorfälltig gewählte temporäre Beduftung mit ätherischen Ölen ließen den Bereich dezent nach Wald duften

Die Kräuter-Duft-Strecke wurde mit bekannten vertrauten Kräuter zum Anfassen gestaltet. Natürlich war auch der angenehm assoziierte Thymian mit dabei, neben Rosmarin, Salbei u.a.  Die Düfte wurden so ausgewählt, dass sie weder große Ablehnung, bzw. „Gefühlsausbrüche“ erwarten ließen. Beim Einsatz der ätherischen Öle als „Duftmittel“, musste sichergestellt sein, dass sie nicht berührt werden können, um einen versehentlichen Augenkontakt mit dem ätherischen Öl zu verhindern.
Als alles fertig war kam der Probelauf, es zeigte sich, wo noch nachgebessert werden musste, denn was Sehende sehen, können Blinde nicht wissen… Es klappte dann prima und es waren Begeisterung und Ahh’s zu vernehmen. Das „Saunieren“ im Höhler beim Aufbau, hatten sich gelohnt.

Am „Tag des weißen Stockes“:
Unsicherheit, etwas „Bammel“ und vor allem Neugierde… sich nur auf die eigenen Sinne, den Tastsinn und den Geruchsinn zu verlassen, sich von ihnen „führen“ zu lassen. „Geht denn das und wird das gut gehen?“ Die
wenigsten konnten sagen, welchen Baum sie gerade befühlten und welchen
Geruch sie wahrnahmen.
Immer wieder wurde sich der Kopf zerbrochen, was das den sein könne Der Gedanke dabei war: Ich muß jetzt herausbekommen was es ist und es sagen können, dafür ist das doch hier… ! Erklärte man ihnen: nein sie müssen nicht sagen was es ist, sie brauche nur daran zu riechen und wahrzunehmen, wie sie es empfinden, änderte sofort die Situation und sie ließen sich auf die Düfte ein. Mir fiel auf, wenn „blind“ gerochen wurde, entfaltete sich ein großes Potential an Wahrnehmung. Nannte man den Namen der Pflanze, dann fiel ein Schalter im Kopf um, es wurde eifrig repetiert, was man alles schon dazu gehört hatte.

Wichtiges und Ergänzendes
…der Hörsinn scheint ein wesentlicher Sinn bei der Orientierung in der Umwelt zu sein. Dafür waren, im unteren Höhler, Straßengeräusche installiert und die Füße konnten über unterschiedliche Straßenbeläge gehen… 

Ich möchte mich bei allen Beteiligten sehr herzlich bedanken, dass ich diese Gelegenheit hatte und viel Neues lernen durfte. 

Einen Hinweis noch zum Schluß, er ist eine Erkenntnis aus den Gesprächen:
Bitte Blinde und Sehbehinderten nicht einfach anfassen und „behilflich sein“, sie weder über die Straße noch in den Bus zerren, sonder respektvoll ansprechen, ob Hilfe gewünscht ist. Kommt ein „Nein“ ist es nicht persönlich gemeint, sondern drückt nur aus, dass dieser Mensch in seiner Welt mit seinen Fähigkeiten gut zu recht kommt und jetzt keine Hilfe benötigt. Mehr nicht.
 
…und wie sagte eine blinde junge Frau: 
„Eine wirkliche Hilfe bedarf einer vorherigen guten Kommunikation.“

Die Treppen und die Umkehr…

Das Vorher und der Fortschritt

Der Wald entsteht

Der Fachmann, ohne ihn ging nichts!
Be-riechen und Be-greifen

Die Hände erkunden in sichtbar gemachter Dunkelheit

Thymian – Farvorit aus der „Duftstunde“

Im Höhler der Sinne ….in der Dunkelheit der Nacht
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