Alles Wilde Möhre … oder was? (Teil1)

Vor einigen Jahren ging ich im Botanischen Garten zu Kiel so vor mich hin… Da sah ich eine prachtvolle „Staude“ stehen, mit weißen Häubchen … strahlend schön.

Verwirrung um die „Wilde Möhre“

Oh, was für Wilde Möhren! …   In freudiger Überraschung und entzückter Begeisterung hatte ich eine umfangreiche Staude Wilder Möhren, inmitten des Apothekergartens, entdeckt. Dieses Highlight wollte ich mir bis zum Schluss meines Rundgangs aufheben und die Vorfreude genießen…

…und dann stand ich vor ihr… in völliger Verwirrung? Wilde Möhre? … oder was?

Irgendetwas stimmte da nicht. Die Form der Doldenblüten entsprach eigentlich denen der Wilden Möhre….

Allerdings die Vogelnester fehlten, obwohl die Dolden schon in den Fruchtbildungsprozess eingetreten waren.

Faszinierende Muster in Weiß und Grün zierten die Dolden. … und dann war da noch das Kraut, dicht und buschig… in Form und Gestalt filigran wie die fiedrigen Blätter des Fenchels, eher ungewöhnlich für eine Wilde Möhre.

Ich muss sagen, ich starrte dieses Wilde-Möhre-Phänomen ziemlich ratlos an – dachte ich doch, dass ich nie eine Wilde Möhre verwechseln würde, dazu glaubte ich sie  in allen Facetten zu kennen. Nun ja – Irrtum erweitert die Erkenntnis…

Es gab daneben ein Schild, da stand geschrieben: Ammi visnaga (L.)Lam./ Zahnstocher-Ammei.

Aha! Keine Ahnung was das sein könnte.

Dank Wiki fand ich die Namen Bischofskraut und Khella.

Beim Namen „Khella“ kam ein Wissensfunken zurück. Da gab es doch ein ätherisches Öl, welches sehr sorgfältig und nur mit Fachkenntnis verwendet werden sollte … und nicht in Jedermanns-Hände gehöre. Ich erinnerte mich noch, dass in einer Literatur, darauf hingewiesen wurde, dass bei hoher Dosierung mit unerwünschten, sogar kritischen Effekten zu rechnen sei. Es wäre in der Lage, sehr entspannend auf die glatte Muskulatur wirken zu können…

Im Apothekergarten war Ammi visnaga im Sektor der Pflanzen für Herz- und Kreislauf angesiedelt.

Seit dieser Pflanzenbegegnung beschäftigt mich die Frage: Bildet sie „Vogelnester“, wie die Wilde Möhre?

Die Wiederbegegnung mit Ammi visnaga

Nun seit letzten Montag weiß ich es. Sie kann „Vogelnester“ bilden, sie sehen allerdings etwas anders aus. Allein deshalb hat sich der Besuch auf der BUGA in Erfurt gelohnt.

Unerwartet erhaschte ich, aus dem Augenwinkel heraus, ein bekanntes Bild. Das ist doch…! Lauftechnisch eine Vollbremsung und Fotoapparat heraus.

Da war er wieder, dieser Busch mit vielen Dolden in allen Entwicklungsstadien und dieses Dickicht an fiedrigem fadenartigem Blätterwerk. … und ja, da waren auch Vogelnest-ähnliche Fruchtbildungsstände. Das hat mich echt überrascht. Allerdings unterscheiden sich diese „Nester“ von denen der Wilden Möhre. Sie sind nicht so elegant gerundet.  Die „Vogelnester“ der Ammi visnaga sind eher von steifer und strenger Architektur.

 

Die Unterschiede

Was unterscheidet sie nun voneinander? Dazu einige ausgewählte Merkmale:

Pflanzenteil Wilde Möhre (Daucus carota spp. carota Bischofskraut (Ammi visnaga)
Blüte weis, manchmal mit pink-rötlicher Färbung weis, weis-grünlicher Färbung, auch grün
„Möhrenblüte“    (die unfruchtbare Zentralblüte) JA

(Farbvarianten von  Dunkelrot fast Schwarz, Bordeauxrot bis Pinkrot,

NEIN

es gibt viele Doldenblüten  die keine Zentralblüte haben

NEIN

die vermeintliche Zentralblüte (siehe Foto) ist ein „Loch“ und es schimmert der braune Doldengrund durch

Spaltfrüchte Klettfrüchte, mit weichen Stacheln, „kleine Läuse“

 

 

 

 

ohne Stacheln

 

 

 

 

Blattstiele besetzt mit feinen Härchen glatt (unbehaart)
Fruchtstand Hygroskopische Bewegung schließt, im ausgereiften Fruchtstand, ihre Dolde bei Feuchtigkeit (öffnet bei trockenem Wetter) xerochstatische Bewegung – gibt ihre Samen bei Trockenheit ab die A. visnaga macht es genau umgekehrt, sie öffnet sich bei Feuchtigkeit

hygrochastische Bewegung – gibt ihre Samen bei Feuchtigkeit ab

Blattwerk (Eindruck) eher bodenständig, nicht dominant, drängt sich nicht den Blick dicht, feinfädig, buschig, nimmt sich Raum und fängt den Blick, strebt nach oben

 

Habitus Wilde Möhre und Ammi visnaga
Habitus (biologisch) Wilde Möhre (Daucus carota spp. carota) links im Bild und Bischofskraut/Khella (Ammi visnaga) rechts im Bild

            

Ammi visnaga mit täuschender „dunkler Mittelblüte“ – es ist ein Loch mit durchscheinendem Doldengrund Vogelnester der A. visnaga (r.u.)

                      

Daucus carota mit Vogelnest
Daucus carota spp.carota mit „Zentralblüte “ und Vogelnest

Welche Wirkspektren bieten ihre ÄÖ an?

Wilde Möhre

  • sehr hautpflegend und hautregenerierend, „entfaltet“
  • kann Leberzellen wieder erfrischen und aufpeppen
  • bietet so mancher „laufenden Laus über die Leber“ Paroli
  • wenn es bläht und grummelt, kann es Abhilfe schaffen
  • es sorgt für Klarheit und Erkenntnis, über das was da im Dunklen so vor sich hin brummelt und grummelt
  • es beleuchtet, das Ungesehene, das Versteckte und räumt auf
  • es reinigt gern und bringt die „Dinge“ wieder in Fluss
  • es regt an, lässt neue Pläne schmieden, die geduldig auf Herz und Nieren geprüft werden
  • es unterstützt beim Fokussieren, wenn die Dinge angegangen werden
  • in den alten Zeiten galt der Karottensamen als Liebesmittel; „stärkt die Lenden des Mannes“, die Frauen verwendeten den Karottensamen zur Periodenregulation
  • Sesquiterpenole (ca. 72% Carotol), Sesquiterpene, Monoterpene

Ammi visnaga

  • Ausdehnung, Erweiterung und Entkrampfung sind die Spezialgebiete
  • alles was mit Enge und Engegefühl (wie z.B., Angst- oder Stressgefühle) in Verbindung gebracht werden kann, ist das Spielfeld
  • durchblutungsfördernd, erweiternd und krampflösend im Zusammenhang mit der glatten Muskulatur, es kann dabei wirksam und entlastend sein
  •  entspannend, öffnend und lösend bei Problematiken der Atemwege, des Herz-Kreislauf-Systems  und im Zusammenhang mit Leber- und Nierenkoliken (s. Zimmermann, Eliane)
  • die Doldenstrahlen wurden (werden) als aromatische Zahnstocher verwendet
  • Ester, Monoterpenole u.a. Andere (wie Khellin, Visnagin)

In der Aroma-Fachliteratur ist relativ wenig zum ätherischen Öl Ammi visnaga zu finden. Früher hatte die Pflanze eine große Bedeutung als Heilpflanze.

Der Duft

Die augenscheinliche Ähnlichkeit der Erscheinungsbilder dieser beiden Pflanzen kann die Nase nicht bestätigen. Die Duftbilder unterscheiden sich bemerkenswert.

Karottensamenöl

Der Duft des ätherischen Öles des Karottensamens ist von Tiefe, Wärme und erdig-waldigen Geruch geprägt. Er kommt kräftig, fast fordernd daher und gleichzeitig ist da etwas Sanftes, samtiges, einhüllendes…

Lässt man dem Duft und der Nase etwas Zeit, macht sich im Hintergrund eine verborgene süße Note bemerkbar. Sie ist nicht klar fassbar, schwankt zwischen Annahme und Ablehnung. Auffallend ist eine feine fettige Nuance im Geruch.

Profan gesagt, könnte man auch meinen: Es erinnert an eine Mischung aus streng riechendem Möhrenkraut und frischer, reifer, süßer Karotte. Dies würde jedoch ein stark vereinfachtes Duftbild zeichnen und ihm nicht gerecht werden…

Obwohl das ÄÖ des Karottensamens wunderbare Eigenschaften hat, ist sein Geruch nicht jedermanns Sache und wird oft abgelehnt. Es wird dabei mit schwer, modrig, sehr dunkel, Kellergeruch assoziiert.

Ammi visnaga

Das ÄÖ ist aus dem Samen der Ammi visnaga destilliert.

Den Duft zu fassen ist nicht einfach, ich würde sagen, er ist ungewöhnlich,

Als ich das Fläschen öffnete, flog er mir regelrecht um die Ohren… kraftvoll mit starker Präsenz. Wie ein kühler, auffrischender Wind, der den Geruch von Laub (auch gefallenem Laub) auf seinem weiten Weg aufgenommen hat, waldig, erdig, laubartig etwas holzig. Es ist kein dunkler, modriger Geruch, eher mit einem erinnernden Hauch an kühle Herbstsonnenstrahlen verbunden. Der Duft strahlt Ruhe aus und befriedet mit Vergangenem. Spannend ist die auffällige Wandlungsfähigkeit des Duftes. Nach relativ kurzer Zeit ist auf dem Duftstreifen eine Süße wahrnehmbar, lieblich, weich, balsamisch, fruchtig. Das Erdige ist in den Hintergrund getreten.

Ich habe noch nie einen so schnellen Wandel eines Geruches erlebt. Lässt man den Duftstreifen über Nacht liegen, so bleibt eine bonbonartige Süße übrig, die eine Erinnerung die Duftnote „Grüner Apfel“ wachruft. Wer mit „Grünem Apfel“ aufgewachsen ist, weiß, was ich meine.

Eine andere Nase nahm eine angenehme Dufterinnerung an Ungarn wahr … das riecht nach Pálinka, Barack Pálinka.

Mir kam eher der grüne, würzige, erdige Duft von Galbanum in den Sinn…

Diese Duftbeschreibungen stammen aus meiner Nase, eine andere Nase kann ganz andere Facetten dieser Düfte wahrnehmen. Wäre sehr interessant zu erfahren, was eure Nasen dazu „sagen“.

FORTSETZUNG folgt…

Daucus carota spp. carota, Wilde Möhre Erscheinungsbild
Das Erscheinungsbild einer Gruppe Wilder Möhren mit Vogelnestern

 

 

Alles Wilde Möhre … oder was? (Teil1)
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Ein Kommentar zu „Alles Wilde Möhre … oder was? (Teil1)

  • 20. September 2021 um 8:24 Uhr
    Permalink

    Hallo Christine,
    danke für die ausführliche Beschreibung dieses doch eher unbekannten Öles. Ich hab mich mal damit beschäftigt, da es offenbar auch bei Asthma eingesetzt werden kann. Muss man sich nochmal anschauen.
    Liebe Grüße
    Anita

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